Stop Motion Videos im Mathematikunterricht

, Janina Brüggemann

Ein Stop Motion Video ist ein Video, das aus einer Reihe von Fotos eines Objektes zusammengesetzt wird. Zwischen der Aufnahme der einzelnen Fotos wird das Objekt manuell in Position oder Form verändert.

Hier ein Beispiel meines Ostervideos, das ich in einer ersten Übungsphase aufgenommen habe:

Theoretische Einleitung und Ziele der Unterrichtssequenz

Im ganz aktuell erschienenen und sehr lesenswerten Magazin ISB-Info des Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München mit dem Titel Digitale Lernaufgaben – Digitale Impulse für zeitgemäße Lernarrangements wird aufgezeigt, wie digitale Medien zielgerichtet in den Unterricht des 21. Jahrhunderts integriert und wie zeitgemäße Aufgabenformate aussehen können. In diesem Leitfaden werden vier Zielbereiche digitaler Lernaufgaben herausgearbeitet:

  • Aufgreifen von Themen und Formaten der digitalisierten Welt
  • Förderung individueller Lernprozesse
  • Zusammenarbeit
  • Handlungs- und Produktorientierung.

Die hier vorgestellte Unterrichtsidee der Stop Motion Videos zur Veranschaulichung der Herleitung von Flächeninhaltsformeln von Parallelogramm und Trapez ist dem zuletzt genannten Zielbereich zuzuordnen. Die Lernziele umfassen neben den fachdidaktischen Zielen (Herleitung der Flächeninhaltsformeln für das Parallelogramm bzw. Trapez durch Zerlegen und Ergänzen zu einem Rechteck und Darstellung der zentralen Herleitungsschritte in Form von Bildern) übergreifende Kompetenzen (Kreativität, Kollaboration) und digitale Kompetenzen (Fotoaufnahme, Umgang mit der App Stop Motion Studio). Die Aufgabe ist zwar produktorientiert, der Arbeitsprozess selbst wird aber ebenfalls zum Lerngegenstand.

Stop Motion Videos im Mathematikunterricht

Für Stop Motion Videos im Deutsch- und Geschichtsunterricht hatte ich bereits viele Unterrichtsbeispiele gesehen. Für den Einsatz im Mathematikunterricht jedoch hatte ich lange keine zündende Idee. Erst der Tweet im Twitterlehrerzimmer von Marc Siemering, der mit seinen Schüler*innen Stop Motion Videos im Zusammenhang von Beweisen zum Satz des Pythagoras einsetzte, brachte mich auf die Idee, dass diese Form der Videos für viele Arten geometrischer Beweise bzw. Herleitungen sinnvoll sein könnte. Daraus erwuchs die Idee, Stop Motion Videos in der Unterrichtseinheit „Flächenberechnung von Drei- und Vierecken“ in Jahrgang 7 einzusetzen.

Eigene Vorbereitung

Zum Erstellen der Videos kam die für Apple- und Android-Geräte erhältliche App Stop Motion Studio zum Einsatz.

Screenshot App Screenshot der App auf dem Smartphone mit den wichtigsten Funktionen

Ich teste die kostenfreie Version der App zunächst zu Hause und nahm aus dem ersten Versuch folgende Erfahrungen mit:

  • Die App ist in ihren Grundfunktionen nahezu intuitiv nutzbar.
  • Die kostenfreie Version ermöglicht zwar keine Einbettung von Vor- und Abspann, Sprechblasen und Geräuschen, ist aber für schulische Zwecke völlig ausreichend.
  • Die Nutzung eines Stativs ist unbedingt erforderlich. (Es muss kein gekauftes Stativ sein. Auch ein aus Lego gebautes Stativ oder einfach eine vorne offene Pappkiste mit einem Loch oben für die Kamera des Smartphones (Anleitung zum Selberbauen von Thomas Kekeisen) genügt.
  • Beim Fotografieren sollte man auf einen einfarbigen Hinter- bzw. Untergrund achten.
  • Je nach Lichtverhältnis kann eine weitere Lichtquelle (z.B. die Taschenlampe eines Smartphones) nötig sein, um scharfe Bilder zu erhalten.
  • Ein Smartphone ist handlicher und leichter und eignet sich daher besser als ein Tablet zum Aufnehmen der Bilder.

Durchführung im Unterricht

Inhaltlich schließt die hier vorgestellte und in etwa vierstündige Unterrichtssequenz an die Wiederholung des Flächeninhalts des Rechtecks, die Erarbeitung der Flächeninhaltsformeln von rechtwinkligen und beliebigen Dreiecken (jeweils durch Zerlegen und Ergänzen und durch Rückbezug auf den Flächeninhalt eines Rechtecks) an.

Übersicht der Sequenz

Tabelle

Als Einstieg gab ich eine kurze Einführung in die Besonderheiten von Stop Motion Videos. In etwa die Hälfte meiner Klasse kannte das Format bereits. Anschließend zeigte ich ein kurzes Beispiel eines von mir erstellten Videos zur Herleitung der Formel für den Flächeninhalt eines beliebigen Dreiecks.

Bezüglich der Organisation des Arbeitsprozesses habe ich im Voraus absichtlich nur relativ wenige Vorgaben gemacht, da ich die Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit der Gruppen fördern wollte. Die inhaltliche Erarbeitung der Formeln erfolgte zunächst in einer kurzen Einzelarbeit und anschließend in Gruppenarbeit. Im Voraus entschied sich jede Person frei für eines der beiden Vierecke. Jede Gruppe erstellte gemeinsam ein Storyboard in tabellarischer Form, in dem die zentralen Herleitungsschritte der Formel und eine Skizze der passenden Fotos dargestellt wurden, und das sie mir vor Beginn der Videoerstellung zeigten. Außerdem gab ich Tipps zur technischen Umsetzung und einige Hinweise zur Benutzung der App (siehe Material unter dem Artikel).

Die Arbeitsphase lief in allen Gruppen gut, die Schüler*innen arbeiteten sehr selbständig. Es gab nur wenige Fragen zur Herleitung der Formel. Die Bedienung der App gelang – wie vermutet – problemlos. Gerade die Phase der Erstellung des Videos beobachtete ich mit großer Freude: Alle waren motiviert bei der Sache, es wurde gut in Teams gearbeitet und es waren viele unterschiedliche Vorgehensweisen und kreative Ideen zu beobachten.

Eindruck der Dreharbeiten

Einzelne Fotos wurden verworfen, neue hinzugefügt, der Vorspann der Videos wurde mithilfe von mehreren Titelfotos erzeugt. Manche Gruppen holten sich auch während des Drehs ein Feedback von mir und verbesserten anschließend ihre Videos. Ich selbst beobachtete zwar die Arbeitsprozesse, hielt mich aber weitgehend zurück. Am Ende der Doppelstunde waren tatsächlich die Videos aller sieben Gruppen fertig.

Auswertung und Feedback

Die Videos wurden in einer TaskCard (digitale Pinnwand) übersichtlich gesammelt. Einen Eindruck der (von meinen Schüler*innen freigegebenen) Ergebnissen gibt es hier:
TaskCard mit einer Auswahl an Videos

Bild Taskcard

Als Hausaufgabe zur nächsten Stunde sollte jede Person mindestens zwei Videos (thematisch zum nicht selbst bearbeiteten Viereck) ansehen und konstruktives Feedback in Form eines Kommentars unter dem Video hinterlassen. Zusätzlich sollte die zentrale Idee der Herleitung der Formel schriftlich (oder als Sprachnachricht) festgehalten werden. Eine erste Anwendung der neuen Formeln erfolgte anhand von zwei Beispielaufgaben.

In der darauffolgenden Unterrichtsstunde wurden intern in den einzelnen Gruppen das Peer-Feedback ausgewertet sowie der Gruppenarbeitsprozess evaluiert. Darüber hinaus folgte eine von mir initiierte Auswertung mithilfe der Zielscheibe von Oncoo mit folgenden eindeutigen Ergebnissen:

Ergebnisse der Auswertung Screenshot oncoo.de

Die Gruppen bekamen vor der endgültigen Bewertung die Möglichkeit, ihr Video zu Hause auf Grundlage des Feedbacks zu verbessern. Diese Möglichkeiten nahmen zwei Gruppen gerne an. Bewertet wurden die Videos nach formalen, inhaltlichen und kreativen Aspekten sowie die Zusammenarbeit in der Gruppe (siehe Bewertungsbogen unter dem Artikel). Die Ergebnisse sind, bis auf ein Video, das dann allerdings überarbeitet worden ist, wirklich gelungen.

Erreichung der Lernziele

Die Herleitung der Flächeninhaltsformeln durch den Dreh eines Stop Motion Videos stellt einen verstehensorientierten Zugang dar. Nicht nur das Feedback der Schüler*innen, sondern auch meine persönliche Wahrnehmung legen dies nahe. Die fachdidaktischen Ziele wurden erreicht. Das Nachdenken über zentrale Schritte der Herleitung, die dann durch Fotos festgehalten worden sind, förderten die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Auch die oben formulierten allgemeinen und digitalen Kompetenzen wurden erfolgreich geschult. Mein Fazit: Es war sowohl aus Sicht der Schüler*innen als auch aus meiner Sicht als Lehrkraft eine gelungene Unterrichtssequenz, die wirklich Spaß gemacht und zu einem guten Lernerfolgt geführt hat. Es hat sich gezeigt, was ja auch empirisch belegt ist, dass die Selbsttätigkeit der Schüler*innen zur Nachhaltigkeit des Lernens beigetragen hat. Ich freue mich auf eine Wiederholung oder auf einen weiteren Einsatz von Stop Motion Videos. Es muss jedoch bedacht werden, dass dieses Vorgehen relativ viel Zeit in Anspruch nimmt.

Bewertungsbogen und Materialien