Buchvorstellung "Upgrade Kollaboratives Lernen"
Als ich kurz vor Weihnachten die Ankündigung des neuen Buchs von Björn Nölte im #twitterlehrerzimmer las, hat mich die dahinterstehende Idee sofort überzeugt. Upgrade: Kollaboratives Lernen eröffnet laut Vorwort eine neue Buchreihe zu den Kernthemen einer zeitgemäßen Lernkultur. Upgrade deshalb, weil es Themen sind, die durch die zunehmende Digitalisierung an Bedeutung gewinnen und sie sozusagen upgegradet werden, also aktualisiert, aufgewertet, erweitert und/oder ausgebaut werden.
Björn Nölte hat mir freundlicherweise ein kostenloses Exemplar des Buchs zur Verfügung gestellt. In diesem Blogbeitrag fasse ich meine Gedanken zum Inhalt zusammen.
Umfang und Aufbau
Das Buch ist Ende 2022 bei Klett Kallmeyer erschienen. Es hat insgesamt 158 Seiten und ist in elf Kapitel unterteilt.
Das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass es das auf den ersten Blick dünn erscheinende Buch in sich hat. Beginnend mit einer Erläuterung der Unterschiede zwischen Kooperation und Kollaboration geht es um Kollaboration als Teil der 4K, um die Umsetzung in der Praxis, um Diagnose und Evaluation und sogar um Kollaboration in der Schulgemeinschaft und in der Lehrerausbildung. Die Kernidee des Buches wird in jedem Kapitel aufgegriffen und durch passgenaue digitale Werkzeuge veranschaulicht: Bestehende Unterrichtsideen werden durch den Einsatz digitaler Medien aufgewertet. Dadurch wird kollaboratives Lernen in neuen Formen möglich und es entstehen neue Lernchancen (vgl. S. 60).
Das Buch besteht aus Text und aus meiner Sicht gelungenen und aussagekräftigen Illustrationen. Darüber hinaus finden sich in allen Kapiteln Kurzlinks und QR-Codes zu vertiefenden Informationen sowie zahlreiche Materialien zum Download.
Mein Leseerlebnis
Schon der Blick in das Inhaltsverzeichnis verriet mir, dass die Lektüre spannend werden würde. Und so war es dann auch. Das Buch lässt sich gut lesen. Durch seinen unaufgeregten, klar verständlichen Schreibstil überzeugt Björn Nölte als Autor. Er ist in allem, was er schreibt, nicht dogmatisch, sondern überzeugt durch seine eigene Begeisterung für das Thema, die in jedem Kapitel deutlich spürbar ist. Und das trotz oder gerade wegen der enormen Informationsfülle!
Das Buch richtet sich aus meiner Sicht sowohl an Leser*innen, die sich mit dem Thema vertraut machen wollen, als auch an diejenigen, die bereits kollaborative Arbeitsformen im Unterricht einsetzen. Für Erstere sind wahrscheinlich die ersten Kapitel am interessantesten. Neben einer theoretischen Fundierung finden sich hier viele Beispiele aus der Praxis, Tipps zur Einführung kollaborativen Lernens und hilfreiche digitale Werkzeuge. Obwohl ich mich bereits mit dem Thema beschäftigt habe und auch kollaborative Arbeitsformen im Unterricht einsetze, konnte ich viele gute Anregungen (Was tun, wenn der Arbeitsprozess stockt? S. 44) und Denkanstöße (freie Gruppenbildung vs. zugeteilte Gruppen, S. 43) für meinen eigenen Unterricht entdecken.
Kollaboratives Lernen im Mathematikunterricht
Ein besonderes Erkenntnisinteresse meinerseits war die Frage, wie ich kollaborative Arbeitsformen speziell im Mathematikunterricht noch weiter ausbauen kann. Unter den vielen konkreten Unterrichtsbeispielen im Buch finden sich viele aus dem geisteswissenschaftlichen und sprachlichen Bereich, aber keines aus dem Mathematikunterricht. Ähnlich sind meine Beobachtungen in den sozialen Netzwerken. Auch dort gibt es nur vereinzelt Beispiele für kollaboratives Lernen im Mathematikunterricht. „Ist das nicht erstaunlich?“, habe ich mich gefragt. Eigentlich müsste doch gerade der Mathematikunterricht prädestiniert sein, kollaborative Arbeitsformen verstärkt zu fordern und zu fördern. Schließlich sind im Mathematikunterricht oft komplexere Probleme zu lösen, bei denen unterschiedliche Materialien und Darstellungsweisen hilfreich sind. Björn Nölte fasst das notwendige Umdenken der Lehrkräfte wie folgt zusammen: Kollaboratives Lernen erfordert eine Öffnung des Lernweges und eine Abkehr vom Gleichschritt (vgl. S. 39). Ich frage mich, ob es vielleicht gerade Mathematiklehrer sind, denen dieses Umdenken besonders schwer fällt. In Kapitel 6.2, in dem es um kollaborative Klassenarbeiten geht, finden sich jedoch gleich drei Beispiele von Mathematiklehrkräften. Vielleicht fangen die Mathematiklehrkräfte also einfach von hinten an? Mit kleinen Schritten zu einer veränderten Prüfungskultur?
Das Buch liefert auf jeden Fall das Grundgerüst für die Planung, Durchführung, Diagnose und Bewertung kollaborativer Lernsetting, das mit etwas Mut und Kreativität auf jedes Unterrichtsfach übertragbar ist.
Meine Highlights
Mein absolutes Highlight findet sich gleich zu Beginn des Buches: Der Unterschied zwischen Kooperation und Kollaboration wird anhand eines Vergleichs mit einem gemeinsamen Essen unter Freunden verdeutlicht. Wenn kooperiert wird, dann trägt jede Person etwas zum gemeinsamen Buffet bei. Wenn kollaboriert wird, kochen die Freund*innen zusammen und es entsteht ein gemeinsames Essen. Beides ist gut, aber beides ist anders! Dieser Vergleich ist so einfach, aber es ist die beste und gleichzeitig einprägsamste Erklärung, die ich bisher gehört habe.
Hier die passenden Illustrationen aus dem Buch (S. 12):
Mein zweites Highlight ist das Kapitel 5 zum Diagnostizieren. Das Diagnostizieren kollaborativer Kompetenzen ist von mir – zumindest bis jetzt – häufig vernachlässigt worden. In diesem Kapitel wird jedoch deutlich, dass es für die Förderung des kollaborativen Lernens sehr wichtig ist. Es wird erläutert, dass eine Diagnose im Idealfall aus einer Selbst- und mehren Fremddiagnosen besteht. Hilfreiche und direkt einsetzbare Diagnosevorlagen für kollaborativee Kompetenzen sind im Buch abgedruckt und stehen auch zum Download zur Verfügung. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr: Es ist ein Buch aus der Praxis, für die Praxis.
Mein drittes Highlight betrifft die Methode „Fünf Dinge, die Sie über mich wissen sollten“ (S. 113), die im Kapitel zur Beziehungsgestaltung beschrieben wird. Dabei handelt es sich um eine Art Kennenlernspiel, bei dem z.B. die Schüler*innen einer neuen Lerngruppe fünf Dinge über sich aufschreiben, die die Lehrkraft ihrer Meinung nach über sie wissen sollte oder die sie mitteilen möchten. Im Idealfall erfährt die Lehrkraft durch die Nennung der fünf Dinge, die eine*n Schüler*in ausmachen, Dinge, die sie im Laufe der gemeinsamen Lernzeit immer wieder aufgreifen kann. Mir gefällt diese Methode sehr gut und ich freue mich schon darauf, sie in der nächsten neuen Lerngruppe anzuwenden. Aber eigentlich geht es gar nicht um die Methode an sich, sondern um die Erkenntnis, dass eine gute Beziehung zwischen der Lehrkraft und ihren Schüler*innen (und auch zwischen den Schüler*innen untereinander) eine unverzichtbare Grundlage für kollaboratives Lernen ist (vgl. S. 123).
Fazit
Für alle, die einen spannenden Einstieg in das Thema suchen oder ihr Wissen vertiefen möchten, ist das Buch aufgrund der facettenreichen Darstellung des Themas sehr zu empfehlen. Mir hat die Lektüre viel Spaß gemacht und viele neue Anregungen für meine Unterrichtspraxis gegeben. Daher: Eine klare Leseempfehlung von mir!